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ReiseSpanien

Mallorca - Kampf gegen Ausbeutung im Zimmerservice

Jonas Martiny
7. November 2022

Viele Frauen, die in den Hotels auf Mallorca die Zimmer machen - die sogenannten Kellys -, fühlen sich ausgebeutet und kämpfen für bessere Bedingungen.

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Playa de Palma auf Mallorca, Spanien
An Mallorcas Stränden drängt sich ein Hotel ans nächste: jede Menge Arbeit für den ZimmerserviceBild: Augst/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Fast blickt Sara del Mar ein wenig entschuldigend, als sie zugibt, dass sie kerngesund ist. "Ich bin eine große Ausnahme", sagt die 52-Jährige, die seit 19 Jahren im selben Hotel in dem vor allem bei Briten beliebten Urlaubsort Magaluf auf Mallorca die Zimmer putzt und die Betten macht. Trotz der tagtäglich gleichen Bewegungsabläufe, trotz des vielen Bückens und Hebens, ist sie von den typischen Berufskrankheiten bislang verschont geblieben: kein Bandscheibenvorfall, kein Karpaltunnelsyndrom, kein Tennisarm. Viele ihrer 30.000 Kolleginnen auf den Balearen-Inseln können das nicht von sich behaupten.

Sara del Mar setzt sich für die Belange der "Kellys" auf Mallorca ein
Sara del Mar setzt sich für die Belange der "Kellys" einBild: J. Martiny

24 Zimmer in sechs Stunden

Seit sechs Jahren ist del Mar Vorsitzende des Verbandes ihrer Berufsgruppe auf Mallorca, die zu praktisch 100 Prozent aus Frauen und knapp der Hälfte aus Einwanderinnen besteht, wie sie schätzt. Die Frauen nennen sich auch "Kellys", wobei es sich um eine Abkürzung von "Las que limpian" handelt – "die, die putzen". 24 Zimmer muss del Mar täglich aufräumen. Schon das sei in den sechs Stunden, die sie dafür hat, kaum zu schaffen. Es gibt aber auch Kolleginnen, denen noch deutlich mehr Arbeit aufgehalst wird, sagt sie. "Der Druck ist enorm. Viele von uns machen keine Mittagspause und trinken noch nicht einmal etwas, um nicht aufs Klo zu müssen und dadurch Zeit zu verlieren."

Kaum einer anderen Berufsgruppe ist spanienweit in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden wie den "Kellys". Falls es noch eines Beleges bedurft hätte, dass sie es mittlerweile bis ziemlich weit oben auf die Agenda der politisch Verantwortlichen geschafft haben, empfing Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez Anfang Oktober eine Abordnung der mallorquinischen "Kellys", als er zum offiziellen Besuch auf der Insel weilte. Er habe den Frauen die Entschlossenheit seiner Regierung zugesichert, ihre Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern, hieß es in einer nach dem Treffen verbreiteten Pressemitteilung: "Ohne sie würde eine für unsere Wirtschaft so wichtige Branche wie der Tourismus nicht funktionieren."

Regierungschef Pedro Sánchez posiert in Palma gemeinsam mit einer Abordnung der Kellys
Regierungschef Pedro Sánchez (hinten im blauen Anzug) posierte in Palma gemeinsam mit einer Abordnung der KellysBild: Fernando Calvo

Auf den ersten Blick haben die "Kellys" einiges erreicht seit ihrer Gründung im Jahr 2016. Mehrere der häufigsten körperlichen Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben, wurden mittlerweile als Berufskrankheiten anerkannt. Der Tarifvertrag für die Tourismusbranche auf den Balearen, der auch ihre Tätigkeit abdeckt, gilt als einer der arbeitnehmerfreundlichsten in ganz Spanien. Mit 1400 Euro netto liegt das Gehalt über dem, was viele andere Arbeitnehmer auf Mallorca bekommen.

Hoteliers müssen höhenverstellbare Betten anschaffen

Zuletzt verpflichtete die Balearen-Regierung gar alle Hoteliers dazu, höhenverstellbare Betten anzuschaffen, um den Frauen die Arbeit zu erleichtern – eine Entscheidung, die in der Branche wegen der hohen Investitionen, die das nach sich zieht, für viel Unmut gesorgt hat. Das klingt auch durch, wenn man beim mallorquinischen Hoteliersverband nachfragt, wie man denn dort zu den Belangen der "Kellys" stehe. Dann bekommt man nur etwas unwirsch die Auskunft, man rede ja auch nicht über Köche, Rezeptionisten oder Kellner. "Warum also über sie?"

Die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol und Gabriel Escarrer, Chef des mallorquinischen Hotelkonzerns Melià, im Frühjahr bei der Präsentation eines der höhenverstellbaren Betten, die die Arbeit der Frauen erleichtern sollen.
Die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol bei der Präsentation eines höhenverstellbaren BettsBild: CAIB

Die "Kellys" sind unbequem gewesen und haben sich nicht abspeisen lassen, seit sie sich zusammengetan haben. "Wir haben all das erreicht, weil wir auf die Straße gegangen sind", sagt del Mar. "Wir haben Demonstrationen auf den größten Plätzen aller wichtigen Städte des Landes organisiert." Aber das allein ist es nicht, beteuert man beim Gleichstellungsdezernat des Inselrats. Dass die "Kellys" es geschafft haben, öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu bekommen, liege auch daran, dass sie eine gesellschaftliche Gruppe repräsentieren, die lange Zeit vernachlässigt wurde in Spanien: Frauen, die unter großen Entbehrungen und harten Arbeitsbedingungen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um ihre Familien durchzubringen – und ganz nebenbei auch noch eine Schlüsselrolle in einer der wichtigsten Branchen des Landes spielen. Wenn sich der Regierungschef auf Mallorca mit den "Kellys" trifft, dann spielt dabei auch Symbolpolitik eine große Rolle.

Ein Hotelzimmer auf Mallorca
Ein frisch gemachtes Hotelbett - schön für den Gast, harte Arbeit für den ZimmerserviceBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Die wichtigste Forderung ist nicht erfüllt

Das erklärt auch, warum trotz aller Erfolge die wichtigste Forderung der "Kellys" bis heute nicht erfüllt ist. Sie wollen, dass das tägliche Arbeitspensum endlich nicht mehr willkürlich von den Hoteliers vorgegeben wird, die alles versuchen, um die Personalkosten so gering wie möglich zu halten, sagt del Mar. Stattdessen müsse es objektive Kriterien geben, wie viele Zimmer pro Tag zumutbar sind. Die Einhaltung soll dann von unabhängiger Seite überwacht werden. Immerhin haben die "Kellys" erreicht, dass auf Mallorca derzeit eine Studie läuft, um genau diese Frage zu klären: Ab wann wird die Belastung zum Problem für die körperliche Unversehrtheit?

Dass Sara del Mar trotz allem bis heute gesund geblieben ist, liegt vielleicht auch daran, dass sie sich schlicht nichts bieten lässt. Als sie vor einiger Zeit das Gefühl hatte, dass das Arbeitspensum in ihrem Hotel zu groß wurde, zeigte sie ihren Arbeitgeber kurzerhand bei der Arbeitsinspektion an. Die darauffolgende Kontrolle gab ihr recht. "Am nächsten Tag war eine zusätzliche Kollegin eingestellt", erinnert sie sich.

Jonas Martiny -  Travel Online-Autor
Jonas Martiny Reporter, Korrespondent